Richtstätte Radberg

Der „Radberg“ in unserer Gemarkung mutet schon immer mit seiner uralten Linde und dem freien Platz auf der Höhe etwas geheimnisvoll und mystisch an. Seinen Namen hat er wohl daher, dass sich hier eine alte Richtstätte befand, wo verurteilte Verbrecher durch Rädern oder Erhängen hingerichtet wurden. Früher wurde der Radberg von Älteren gelegentlich auch „Galgenberg“ genannt, was die alten Überlieferungen unterstreicht. Die letzte bekannte Hinrichtung fand im Jahre 1671 am Radberg statt als ein ganz besonders schlimmer Fall die ganze Umgegend aufgeregt hatte:

Seit gut zwanzig Jahren war nun der 30jährige Krieg mit seinen Greuel und seinem großen Leid zu Ende. Das ländliche Leben begann sich mit all seinen Schwierigkeiten wieder zu normalisieren, als die Bewohner der Umgebung durch einen dreifachen Mord in Langd in Aufregung und Furcht versetzt wurden. Der damalige Pfarrer von Langd, Christian Fuchs, der von April 1655 bis Dezember 1675 dort diente, hat die damaligen Ereignisse wie folgt aufgeschrieben:

„Anno 1671, den 28. Februar sind christlich und mit volkreicher vollständiger Versammlung begraben worden

Catharin, des alten Schulmeisters Deucher Witwe und
Catharin, des jungen Schulmeisters Witwe, wie auch die
alt Böcher Els, die ledige Magd

welche vorigen Sonntag morgens zur Nacht, mörderlicherweise in ihren Betten sind erschlagen und jämmerlich zermetzelt und ermordet worden. Und ist von dem Kind des jungen Deuchers als dem Täter und Mörder angezeiget, auch von der alten Deucherin der Schulmeisterin bejaht worden auf ihrem Todbett, Henrich Deucher, Peter Deuchers Sohn, welcher schon anno 1664 des Schulmeisters Geld unter der Vesperpredigt gestohlen hat, und also auch um des schnöden Geldes willen mit samt seinem Anhang, diese so grausame Mordtat begangen, dergleichen bei Menschengedenken und in Historien nicht zu finden, daß Leute so jämmerlich und grausam zermartert worden sind:

1) zu Friedenszeiten
2) in ihren eigenen Häusern
3) auf ihrem Lager
4) im Schlaf
5) in der H. Sonntags Nacht
6) von dem nächsten Blutsfreund und
7) zweifachen Gevattern

Er der Mörder hat sich selbst durch die Flucht auch schuldig gegeben. Ach Gott, laß ihn in die Hände der Obrigkeit kommen, daß die Sancta Justitia, anderem Tun abscheulichen Exempel, an ihm gebührendermaßen möge exequiret und vollzogen werden.“

Erklärt sei an dieser Stelle, dass Henrich Deucher (der Mörder) ein Sohn von Peter Deucher war, dem Hofmann zu Graß bei Hungen. Peter Deucher war der Bruder zu dem alten Schulmeister Johannes Deucher, der bereits am 26.2.1665 in Langd begraben wurde und somit der Onkel von Henrich D.. Auch der Sohn des alten Schulmeisters, Johannes Deucher II. war nicht lange vor dem Tatzeitpunkt, nämlich am 21. April 1670 in Langd begraben worden. Da die Witwen der beiden Schulmeister wohl alleine mit einer Magd in dem Schulhaus lebten, kann gemutmaßt werden, dass dies den Täter zu seiner Tat ermutigt hat. Henrich Deucher hat also seine Tante und die Frau seines Cousins sowie deren Magd umgebracht. Die Tochter seines Cousins hat ihn gesehen und dies vor Gericht bestätigt.

Henrich Deucher war vorher schon ein richtiger Taugenichts. Sein am 29. Sept.1669 in Langd geborenes uneheliches Kind hat er verleugnet und die Vaterschaft heftig abgestritten. Anna Kratz, die Kindesmutter, war eine Magd bei dem Keller (herrschaftl. Verwalter) in Langd und wurde als „zweimal ausgestrichene und des Landes ewig verwiesene Schandhure“ bezeichnet. Deucher leugnete selbst noch vor dem Amtmann in Nidda, dem Metropolitan sowie vor Pfarrer und den Kirchenältesten die Vaterschaft und wurde daraufhin am 27. März 1670 „ledig“ gesprochen. Hätte er die Vaterschaft zugegeben, wäre er nach damaligem Recht zwangsweise verheiratet worden.

In der „Längder Kastenrechnung“ sind Ausgaben im Zusammenhang mit dem Mordfall aufgeführt: „6 Albus verzehrt als Pfarrer und Seniores nach Nidda zu der Obrigkeit citirt worden, Kundschaft über Peter Deucher, seinen Anhang und Sohn auszusagen“ sowie ein zweitesmal auch „6 Albus, Pfarrer und Seniores, als sie zum andermal nach Nidda citirt worden“. Die Kirchensenioren waren zu dieser Zeit Hans Becker (auch als Zöllner erwähnt), der in zweiter Ehe mit der Tochter des Pfarrers verheiratet war und Hans Georg Schütz. Die ermordete junge Schulmeisterwitwe war die Tochter von Hans Becker aus I. Ehe.

Der Mörder Henrich Deucher war nach der Tat 13 Tage lang auf der Flucht bevor er in Lanzenhain gefasst wurde. Er wurde verurteilt und am 11. April 1671 „bei Ulfa auf der hohen Straße auf das Rad gelegt“. Wörtlich heißt es:

„Den 11. April ist Henrich Deucher ein 5 1⁄2 Wochen gefangener Mörder, öffentlich etlichen tausend Menschen

1) als ein 3-facher Hauptmörder
2) als ein Blutschänder
3) als ein Ehebrecher und großer Hurer
4) als ein Dieb
5) als ein großer Zauberer

vorgestellt und zum Tode verdammt, auch justifiziert worden, daß man ihn

1) an vier unterschiedlichen Orten seines Leibes
mit glühenden Zangen gepfätzet
2) von unten an bis oben auf geradbrecht und
3) an den Grenzen des Rabertshäuser und Ulfer
Feldes zum Tod gelegt.“

Wegen des großen Aufsehens in der ganzen Gegend hat auch der Pfarrer von Wallernhausen im Kirchenbuch eingetragen:

„Anno 1671, den 28. Februar in der Nacht sind 3 Weibspersonen zu Langd im Gericht Rodheim jämmerlich mit einer Axt von ihrem Blutsfreund Henrich Deucher, bürtig aus Langd, aber damals wohnhaft zu Nidda in der Raune, ermordet worden, welcher zuvor 13 Tage flüchtig gewesen aber doch endlich zu Lanzenhain handfest gemacht und den 11. April mit glühenden Zangen viermal gepetzt, von unten herauf gerädert und bei Ulfa auf der hohen Straße auf das Rad gelegt worden. Die Execution ist vollzogen worden zu Nidda über der Krötenburger Mühle.“

Die hohe Straße verlief damals von Glaubzahl kommend durch den Harbwald/Rabertshäuser Wald, weiter auf der Höhe zwischen Ulfa und Rabertshausen entlang und aus Ulfaer Sicht hinter dem Radberg hinab auf die heutige Langder Straße. Danach führte diese am Kirchberg und Katzenberg vorbei zur Hungen-Schottener Strasse. Wie oben berichtet, wurde die Execution über der Krötenburger Mühle vollzogen. Dies bedeutet wohl, dass Deucher nach dem Rädern nicht gleich tot war und die Execution dann erst in Nidda vollzogen wurde oder dort evtl. enthauptet wurde.

Das Rädern

Bei dem so genannten „Rädern“ handelt es sich um eine Hinrichtungsform, die es im Mittelalter und auch in der Neuzeit noch gab. 1813 wurde das „Rädern“ in Bayern und 1836 in Kurhessen abgeschafft, da dies eine sehr qualvolle Bestrafung darstellte. Das letzte „Rädern“ fand wohl 1841 in Preußen statt.

Bei der Durchführung des Räderns gab es verschiedene Varianten. Eine davon war, dass der verurteilte Räuber oder Mörder auf ein Schafott gebracht und dort auf dem Boden festgebunden wurde. Ziel des Räderns war der möglichst qualvolle Tod des Verurteilten. So begann man mit dem Brechen der Beinknochen, indem der Scharfrichter das Richtrad, welches meist eine eiserne Kante hatte, auf den Unterschenkel fallen ließ bzw. stieß. Danach kamen die Oberschenkel sowie die Unter- und Oberarme dran. Damit die Knochen leichter brachen und die Wirkung insgesamt erhöht wurde, lag der Verurteilte auf scharfkantigen, gespaltenen Hölzern, so genannte Krammen, Krippen oder auch Brecheln. Rhythmus und Anzahl der Schläge waren hierbei vorgeschrieben. In seltenen Fällen kam es vor, dass der Scharfrichter angewiesen wurde, nach diesem Rädern den Verurteilten zu exekutieren. Er gab ihm dann den Gnadenstoß entweder auf den Hals oder das Herz. Äußerst selten wurde als Gnadenakt mit dem Rädern vom Kopf herab begonnen.

Im zweiten Teil des Vorganges wurde der Leib in ein anderes Rad „geflochten“. Dies war durch die gebrochenen Glieder möglich. An Stelle dessen konnte er auch an das Rad gebunden werden. Das Rad wurde dann auf einem Pfahl aufgerichtet, um den Verurteilten zu enthaupten oder durch erdrosseln zu Tode zu bringen. Teils wurde auch Feuer unter dem Rad gemacht oder der Geräderte wurde mit dem Rad in das Feuer hinein geworfen.

Als weitergehende Strafe galt das Verbleiben des Körpers auf dem Rad, um ihn dem Tierfraß oder Verfall zu überlassen. Diese Form sollte nach damaligem Glauben einer Auferstehung entgegenstehen, da der Körper nicht zur Erde bestattet wurde.

Es soll vorgekommen sein, dass Geräderte noch lebend vom Rad gefallen sind oder die Hinrichtung auf andere Weise misslang. Dies wurde als Gottes Wille gesehen und hatte zur Folge, dass die Hinrichtung aufgehoben wurde und man sich nun besonders gut um den Geräderten kümmerte. Votivbilder und entsprechende Literatur zeugen von der besten Behandlung derartiger Verletzungen.

Text: Günter Stahnke, Juni 2014
Quellen: Kirchenarchiv Langd und Wallernhausen, Dorfchronik Langd v. Manfred Ziehl