„Pfarrer Flechsenhaar“

1935: Unser damaliger Pfarrer Günther Flechsenhaar gehörte mit seiner Kirchengemeinde zur „bekennenden Kirche“. Demzufolge wurden seine Predigten, wie anderswo auch, von staatlicher Seite überwacht. Anscheinend hatte es den Parteileuten nicht gepasst was der Geistliche predigte, denn am 26. März 1935 erschienen gegen 14 Uhr als Beamter des Kreisamtes Schotten Regierungsassessor Denzer und ein Polizist der Polizeistation Eichelsdorf bei dem damaligen Bürgermeister Hofmann und teilten ihm mit, dass sie Pfarrer Flechsenhaar wegen seiner Äußerungen in der Sonntagspredigt verhören wollten. Da in der Woche davor der Pfarrer von Ranstadt verhaftet wurde, glaubte man dem Beamten nicht und nahm an, dass Pfarrer Flechsenhaar auch verhaftet werden sollte. Die Kunde ging wie ein Lauffeuer durch Ulfa, die Kirchenglocken wurden geläutet und im Nu standen der Hof des Bürgermeisters in der Mittelstraße und die Straße davor bis zum Pfarrhaus mit mehreren hundert Menschen voll. Pfarrer Flechsenhaar musste auf die Bürgermeisterei kommen und wurde dort vernommen. Gerade zum Zeitpunkt als die Vernehmung beendet war, fuhr ein weiterer Wagen der Giessener Staatspolizei mit drei Beamten in Zivil vor der Bürgermeisterei vor. Dies steigerte natürlich erneut die Erregung der Bürger. Bei dem Versuch rückwärts im Hof einzuparken wurde der Wagen von einigen starken Männern hochgehoben. Der Motor lief noch, aber fahren konnte das Auto nicht mehr. Pfarrer Flechsenhaar gelang es weitere Ausschreitungen zu verhindern, indem er sich in den Pfarrhof begab und die Leute aufforderte ihm zu folgen. Dort sangen sie das Lied „Ein feste Burg“ und beteten. Die Gestapoleute hatten solchen unmissverständlichen Widerstand noch nicht erlebt, waren aber einsichtig genug und brachen die Aktion nach telefonischer Rücksprache mit einer Dienststelle in Darmstadt ab. Die Polizeimaßnahmen in Ulfa hörten für die nächsten Wochen auf und der Kreisleiter der NSDAP kam persönlich nach Ulfa um zu beschwichtigen, da die Ortsgruppe Ulfa einen energischen Bericht abgesandt hatte. Der Kreisleiter teilte Pfr. Flechsenhaar mit, daß politisch nichts gegen ihn vorläge.

Die Schilderung dieses Vorfalles, ist dem von Pfr. Flechsenhaar niedergeschriebenen Bericht entnommen. (Dokumentation zum Kirchenkampf in Hessen und Nassau, Bd. 3, 1981)

Dass es hinterher für manche Bürger kein böses Nachspiel wegen des „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ gab, ist hauptsächlich der Besonnenheit und der Vermittlung des Bürgermeisters Hofmann zu verdanken.

Text aus „Ulfa – Geschichte und Geschichten“